Johanna „die Wahnsinnige“ - eine moderne Frau?

Das Manuskript der VerführungDas Manuskript der Verführung, Roman von Gioconda Belli, Peter Hammer Verlag, 2005, gebunden 24,90 €

Rezension von Astrid Gruber

In ihrem neuen Roman „Das Manuskript der Verführung“ lässt Belli den Leser in zwei Welten Spaniens eintauchen, zwischen denen 400 Jahre liegen: in die Welt Johannas der Wahnsinnigen (1479-1555), und in die der 17jährigen Klosterschülerin Lucía in den 1960ern. Die Verbindung beider Welten stellt der Geschichtsprofessor Manuel her, dem seine Studien über die Königin Johanna zur Obsession geworden sind. Lucía erinnert Manuel an Johanna - der Grund, warum er sich auf den ersten Blick in sie verliebt. In sonntäglichen Treffen schlüpft Lucía für ihn in ein historisches Samtkleid und damit in die Rolle von Johanna. Schon bald führt er sie nicht nur in die Welt Johannas, sondern auch in die Kunst der Liebe ein.

Ende des 16. Jahrhunderts arrangieren die Katholischen Könige, Herrscher von Kastilien und Aragon, für ihre Tochter und Thronfolgerin Johanna eine Zwangsheirat mit Philipp dem Schönen aus den Niederlanden. Ihre Leidenschaft ist jedoch sofort entfacht, als sie sich zum ersten Mal begegnen. Johanna bekommt zwischen 17 und 26 sechs Kinder. Um Johannas legitimen Erbanspruch auszuhöhlen, intrigieren zunächst ihr Ehemann und ihr Vater gegen sie. Johanna war schwanger, als ihr geliebter Mann mit 29 Jahren in ihren Armen stirbt. Schließlich stellt ihr eigener Sohn Johanna kalt: Karl, der 1520 zum Kaiser in Aachen gekrönt wird, hält Johanna 47 Jahre auf Schloss Tordesillas gefangen. Es wäre ihr Reich gewesen, in dem die Sonne niemals unterging.

Johanna, die „Leidenschaftliche“
Johannas „Wahnsinn“ bestand darin, vehement Widerstand gegen die Machtspiele der Männer zu leisten. Sie hielt hartnäckig an der eigenen Überzeugung fest und setzte sich für Gerechtigkeit ein. Darin ließ sie sich auch nicht von ihrem Ehemann abbringen, obwohl sie ihn abgöttisch liebte.

Die Autorin Gioconda BelliGioconda Belli tauft Johanna „die Wahnsinnige“ in Johanna „die Leidenschaftliche“ um. Mit dieser Interpretation stimmt Belli mit der aktuellen historischen Forschung überein. Sie zeigt Johanna als starke historische Persönlichkeit, die in ihrer Standhaftigkeit modern wirkt. Gioconda Belli selbst ist eine solche starke Frau: 1948 in Nicaragua geboren, beteiligte sie sich ab 1970 am Widerstand der Sandinistischen Befreiungsfront gegen die Diktatur Somozas und ging 1975 ins Exil. Ein Jahr später wurde sie in Abwesenheit zu sieben Jahren Haft verurteilt. Die Schriftstellerin und Poetin lebt mit ihrem Mann in Nicaragua und hat vier Kinder. 1989 verleiht die Friedrich-Ebert-Stiftung den Preis "Das Politische Buch des Jahres" an Gioconda Belli für „Die bewohnte Frau“.

Rahmenhandlung lässt Fragen offen
Im „Manuskript der Verführung“ sind abwechselnd Lucía und Johanna die Ich-Erzählerinnen. Der Roman bedient sich des Kunstgriffs einer verschränkten Rahmenhandlung und bettet die historischen Begebenheiten in eine fiktionale Geschichte ein. Die Liebesgeschichte zwischen Lucía und dem Professor wirkt jedoch flach. Lucía scheint nur in das Glück der ersten Liebe verliebt zu sein, und Manuel scheint sich nur des Körpers und des Geistes der jungen Frau zu bedienen, um seine Obsession für Johanna ausleben zu können. Als Lucía emotional wird, geht er nicht liebevoll auf sie ein, sondern zieht er sich auf die wissenschaftliche Ebene zurück. So könnte Lucía nur eine von vielen jungen Studentinnen sein, die der Wissenschaftler schon in die Rolle Juanas schlüpfen ließ und nach seinem „Manuskript“ verführte. Der Leser hofft, hinter die Fassade der Liebe zwischen Lucía und Manuel blicken zu können, erwartet mehr Tiefgang oder einen überraschenden Wendepunkt. Das baut Spannung auf. Die Quintessenz der Rahmenhandlung wirkt so ernüchternd wie das Leben und die Liebe selbst.
„Das Manuskript der Verführung“ lässt den Leser in die Welt Johannas eintauchen und ist einmal mehr ein Frauenroman Bellis zwischen Stärke, Rebellion, Intelligenz und Weiblichkeit.

Veröffentlichungen von Gioconda Belli (Auswahl):
Die bewohnte Frau, Roman (1988, dtv).
Tochter des Vulkans, Roman (1990, dtv).
Zauber gegen die Kälte, Gedichte (1992, dtv).
In der Farbe des Morgens, Gedichte (1992, dtv).
Feuerwerk in meinem Hafen, Gedichte (2001, Hammer Verlag).
Die Verteidigung des Glücks. Erinnerungen an Liebe und Krieg, Autobiografischer Roman (2001, Hanser, 2002, dtv).
Das Manuskript der Verführung, Roman, (2005, Hammer Verlag)

Links:
Peter Hammer Verlag
Deutscher Taschenbuch Verlag
Zeitschrift für Lateinamerika Matices
Website von Gioconda Belli

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Bernd Lahl, Jens Kugler...
Das große Buch vom Bergbau im Erzgebirge Zwischen...
Laszlo Maraz - 15. Feb, 18:40
Johanna „die Wahnsinnige“...
Das Manuskript der Verführung, Roman von Gioconda Belli,...
buecherblock - 17. Jan, 15:35
Daniel Kehlmann - Die...
Roman Rezension erscheint in Kürze Klappentext Gegen. ..
Simone Orb - 17. Jan, 14:27
Kazuo Ishiguro - Alles,...
Roman Rezension erscheint in Kürze Klappentext Ein...
Simone Orb - 17. Jan, 13:46

Suche

 

Status

Online seit 6675 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Feb, 19:03

Credits


Belletristik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren